Was haben Cornelis Kentie, Albert Vandewalle, Alf Pahlow Andresen, Stanislaw Szmajzner und Dr. Victor Fenyes gemeinsam? Sie alle wurden durch die Nationalsozialisten verfolgt und inhaftiert und bemühten sich nach 1945, oft nach der Rückkehr in ihre Heimatländer, um Entschädigung für ihre Verfolgung. Dabei war ihre Entschädigungsgeschichte so unterschiedlich wie ihre Herkunftsländer und Verfolgungsgründe.
Auf der Tagung „Der Prozess der Wiedergutmachung von NS-Unrecht und die Folgen“, veranstaltet von unserem Projektteam, sollte über diese verbindenden und unterscheidenden Elemente der Entschädigungspraxis nachgedacht werden. Dafür kamen Wissenschaftler_innen, Multiplikator_innen und andere Interessierte aus Hochschulen, dem musealen Bildungsbereich, Gedenkstätten und Archiven im frizzforum in Berlin zusammen. Dabei zeigte sich, wie facettenreich und unterschiedlich Entschädigungspraktiken in den verschiedenen europäischen Ländern waren und welch großer Forschungsbedarf hier noch besteht.
Die Vorträge orientierten sich dabei an folgenden Fragestellungen um den Komplex des historischen und juristischen Prozesses um Wiedergutmachung und Entschädigung der nationalsozialistischen Verbrechen: Welche Unterschiede gab es in verschiedenen europäischen Ländern hinsichtlich der rechtlichen Rahmensetzungen und der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Wiedergutmachung und Entschädigung? Wie waren die individuellen Erfahrungen der Betroffenen? Welche Folgen sind bis heute in den Familien der NS-Verfolgten spürbar? Welche Rolle spielte die Wiedergutmachung im Rahmen der Transitional Justice? Wie kann die Geschichte der Wiedergutmachung von NS-Unrecht vermittelt und zur kritischen Auseinandersetzung angeregt werden?
Jens Schley, wissenschaftlicher Geschäftsführer der Bildungsagenda NS-Unrecht / Holocaust Education der Stiftung EVZ, eröffnete die Tagung. Er betonte die Bedeutung des Projekts „Ewige Zuchthäusler?!“ und die Notwendigkeit weiterer Forschung in diesem Bereich. Durch Veranstaltungen wie die wissenschaftliche Tagung könnte diese notwendige weitere Forschung vorangebracht werden.
Die Tagung bestand aus drei Panels mit jeweils drei Vorträgen, die folgend kurz vorgestellt werden sollen:
- Dr. Johann Custodis (Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel): Untersuchung der Entschädigungsbemühungen Norwegens und Deutschlands für norwegische Widerstandskämpfer, die im Strafgefängnis Wolfenbüttel inhaftiert waren.
- Dr. des. Friederike Apelt (Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel) „Und heimlich Kekse zu essen ist kein Widerstand“ – Anerkennung von NS-Unrecht und Entschädigung in den Niederlanden. Diskussion der Anerkennung und Entschädigung von NS-Verfolgten in den Niederlanden anhand des Falles Cornelis Kentie.
- David Paul (Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel) Alle im Widerstand? Entschädigung für politische Gefangene in Belgien. Untersuchung der Nachkriegserinnerung und Entschädigungspolitik in Belgien, mit Fokus auf politische Gefangene und deren zentrale Rolle.
Panel II: Entschädigung und Erinnerungskultur aus der Perspektive verschiedener Länder und Gruppen
Moderation: Thorsten Fehlberg (Else-Frenkel-Brunswik-Institut für Demokratieforschung in Sachsen, Universität Leipzig)
- Björn Stumm (Forschungs- und Dokumentationsstelle SEAL, Universität Trier) Die Überlebenden der Vernichtungslager und die internationale Komponente der Wiedergutmachung am Beispiel der Wiedergutmachungsakte von Stanislaw Szmajzner
- Dr. Markus Roth (Fritz Bauer Institut, Frankfurt am Main) Doppeltes Erbe – Der Konflikt um Wiedergutmachung, Restitution und Entschädigung in Polen nach 1944/45 und nach 1989/90. Überblick über die Restitution und Entschädigung polnischer Juden und Jüdinnen nach dem Zweiten Weltkrieg und nach 1989/90.
- Prof. Dr. Hans Otto Frøland (Norwegian University of Science and Technology, Trondheim) Norway’s WWII patriotic memory culture. Untersuchung der Verknüpfung von patriotischer Erinnerungskultur und Entschädigungsfragen in Norwegen.
Panel III: Verschiedene Phasen und Ebenen der Entschädigung
Moderation: Dr. Andreas Grünewald Steiger (Wissenschaftlicher Beirat der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel; ehem. Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel e.V.)
- Dr. Florian Grumblies (ZeitZentrum Zivilcourage, Hannover) Erste Hilfen und frühe Entschädigung für NS-Verfolgte in Niedersachsen und Hannover 1945-1953. Darstellung der ersten lokalen Hilfsmaßnahmen und Entschädigungen für NS-Verfolgte in Niedersachsen und Hannover.
- Jörn Petrick (Themenportal „Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts“, Bundesarchiv Koblenz). Die Wiedergutmachung für frühere Bedienstete jüdischer Gemeinden und sonstiger jüdischer öffentlicher Einrichtungen. Analyse der Wiedergutmachung für frühere Bedienstete jüdischer Gemeinden und öffentlicher Einrichtungen.
- Uta Gerlant (Historikerin, Berlin) Die Entschädigung von NS-Zwangsarbeit. Die Gründung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ).
Martina Staats fasste in ihrem Abschluss die Leerstellen und die wichtige Forschungsarbeit auf dem Gebiet der Entschädigung von NS-Unrecht zusammen. Sie mahnte an, in Zukunft noch weitere Gruppen in den Blick zu nehmen, die in die Entschädigungsprozesse involviert waren. Als Beispiel nannte sie die Anwälte der Verfolgten. Auch betonte sie die Bedeutung dieser Forschung, insbesondere in NS-Gedenkstätten, um deren Profil und pädagogische Angebote stets um aktuelle gesellschaftliche Fragestellungen zu erweitern. Dabei wäre durch die Vorträge klar geworden, dass Entschädigung bis heute nicht abgeschlossen ist und kein Thema der Vergangenheit ist.
Durch die Tagung wurde deutlich, wie wichtig eine Vernetzung der verschiedenen Forschenden ist, um Forschung auf dem Gebiet Entschädigung und Wiedergutmachung weiter voranzubringen.
Wir bedanken uns bei allen Teilnehmenden sehr herzlich für die Teilnehme und freuen uns auf einen weiteren produktiven Austausch.
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