Projektwoche in der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel.
„Leben entstehen lassen, wo Leben genommen wurde“
Mit diesen Worten überreichte Prof. Dr. Benedict Wydooghe dem Gedenkstättenteam Samen aus Lichtervelde, einer kleinen Stadt in Belgien. Wydooghe selbst, aber auch 13 belgische Widerstandskämpfer, die im Strafgefängnis Wolfenbüttel in der NS-Zeit hingerichtet wurden, kommen aus Lichtervelde. Die Samen sollen in Wolfenbüttel gepflanzt werden und dadurch für Wydooghe zeigen, „dass aus der scheußlichen Gewalt etwas Positives entstehen kann“.
Doch wie wurde mit dem Leid der Betroffenen und ihrer Angehörigen direkt nach 1945 umgegangen? Um sich mit dieser Thematik der Entschädigung für NS-Justizverurteilte auseinanderzusetzen, kamen 10 belgische Studierende aus der Stadt Kortrijk, die ganz in der Nähe von Lichtervelde liegt, und 8 Studierende der TU Braunschweig in Wolfenbüttel zusammen. Dabei stellten sich zentrale Fragen: Was sagen uns Entschädigungsakten über das gesellschaftliche Bild von NS-Justizopfern? Welche Rolle spielten Entschädigungen nach 1945 für die Betroffenen und Hinterbliebenen und was kann Entschädigung auf individueller Ebene generell leisten?
Um diese Fragen zu beantworten, beschäftigten sich die Studierenden mit den Entschädigungsakten der Angehörigen der 13 Lichtervelder und Entschädigungsakten von deutschen Strafgefangenen aus derselben Zeit, die im Strafgefängnis Wolfenbüttel inhaftiert waren. Um diese Bearbeitung zu kontextualisieren, besuchten sie die Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel, das Niedersächsische Landesarchiv, Abteilung Wolfenbüttel, sowie den Gedenkort am ehemaligen Schießstand in Braunschweiger Buchhorst.
Dr. Thomas Kubetzky von der TU Braunschweig zeigte sich über die Studierenden begeistert: Diese hätten intensiv zusammengearbeitet, ihre jeweiligen Perspektiven eingebracht und dadurch wichtige Erkenntnisse herausgearbeitet. Gerade der internationale und interdisziplinäre Austausch zwischen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Workshops stelle eine wertvolle Ergänzung der akademischen Ausbildung dar.
Durch die Beschäftigung mit den Akten diskutierten die Studierenden über die individuellen und gesellschaftlichen Auswirkungen von Entschädigungsverfahren. Sie arbeiteten Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Entschädigungssystemen in Deutschland und Belgien heraus und zogen dadurch Rückschlüsse auf den Umgang der jeweiligen Länder mit ehemaligen Justizverurteilten nach 1945. Außerdem thematisierten die Studierenden, welche Bedeutung Entschädigungszahlungen für die Betroffenen, ihre Angehörigen und ihre Hinterbliebenen haben.
Joppe Cattleeuw, Student aus dem belgischen Kortrijk, resümierte: „Es war sehr interessant, die deutschen Studierenden zu treffen und sich über eine schwer belastete Vergangenheit auszutauschen. Es ist eine Geschichte, die wir nicht vergessen können und die wir im Gedenken an die Opfer immer wieder neu erzählen müssen. Die Erfahrungen der Woche haben uns dazu gebracht, über Toleranz und Radikalisierung in der Gegenwart nachzudenken.„
Zu den Ergebnissen der Projektwoche sagte Martina Staats, Leiterin der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel: „Die persönliche Begegnung und Zusammenarbeit in der historischen Recherche zwischen den belgischen und deutschen Studierenden ist ein gutes Beispiel für das Zusammenführen der unterschiedlichen Länderperspektiven auf die NS-Verbrechen und ihre Folgen.“
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