Eine Archivreise nach Brüssel oder: Inhaftierte Belgier in Wolfenbüttel und ihre Entschädigungsakten Teil I

Die Entschädigung von belgischen Strafgefangenen in Wolfenbüttel ist ein zentraler Fokus unseres Pilotprojektes „Ewige Zuchthäusler?!“. Umso wichtiger war es für uns, tiefere Einblicke in ihre Entschädigungsakten zu erhalten. Nach langer Planung war es Anfang Juli endlich soweit: Wir konnten unsere Archivreise nach Brüssel antreten. Hier möchten wir euch dazu mehr berichten. In Teil I dieses Blogposts geben wir euch zunächst Einblicke zu den Hintergründen, warum die belgischen Inhaftierten eine bedeutende Rolle in unserem Projekt spielen, bevor wir euch in Teil II mehr über unsere Archivreise berichten.

Belgische Strafgefangene in Wolfenbüttel

Mit Anfang des Krieges kamen zunehmend ausländische Gefangene nach Wolfenbüttel und machten zwischen 1939-1945 mehr als die Hälfte aller Neuzugänge des Strafgefängnisses aus. Insgesamt waren mehr als 600 belgische Strafgefangene in Wolfenbüttel, darunter über 200 sogenannte „Nacht- und Nebel“-Gefangene (nachfolgend NN-Gefangene). Sie wurden als Widerstandskämpfer im Geheimen ins Deutsche Reich gebracht und erst dort verurteilt. Diese Praxis sollte der Abschreckung in den Heimatländern dienen. Die NN-Gefangenen erhielten im Strafgefängnis Nummern und wurden nicht in das Hafteingangsbuch eingetragen. Auch durften sie keinen Kontakt zu ihren Angehörigen oder anderen Gefangenen haben.

Das ehemalige Hinrichtungsgebäude, 2019

54 Belgier_innen wurden in Wolfenbüttel hingerichtet, viele weitere starben an den Zuständen im Strafgefängnis oder den Außenarbeitsorten.

Nach der Befreiung: Die Bedeutung der Überlebendenverbände

Nach der Befreiung und der Rückkehr nach Belgien organisierte sich ein großer Teil der Belgier sowie auch Angehörige von Hingerichteten und Verstorbenen in Überlebendenverbänden. So gründeten ehemalige belgische Häftlinge 1948 einen Verband der politischen Gefangenen in Wolfenbüttel, die Amicale des Prisonniers Politiques Rescapés de Wolfenbüttel.

Der erste Fahnenaufsatz des belgischen Überlebendenverbandes Amicale des Prisonniers Politiques Rescapés de Wolfenbüttel, 1948 (Privatbesitz André Charon)

Der Überlebendenverband war ein wichtiger Ort, um sich über die Verfolgungs- und Hafterfahrungen auszutauschen. Er diente aber auch der Vertretung ihrer Interessen, zum Beispiel für soziale und medizinische Hilfen. [1] Die Vereinigung der politischen Gefangenen in Wolfenbüttel setzte sich darüber hinaus auch für die Errichtung der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel ein, noch heute bestehen enge Kontakte zu den Angehörigen ehemaliger belgischer Verfolgter.

Die Fahne der CNPPA/NCPGR

Die Überlebendenverbände engagierten sich auch für die Durchsetzung von Entschädigungsansprüchen. Eine besondere Rolle spielte hier die Confédération Nationale des Prisonniers Politiques et Ayants Droit de Belgique (CNPPA)/Nationale Confederatie van Politieke Gevangenen en Rechthebbenden van België (NCPGR), die als Dachverband belgischer Überlebendenverbände der Strafgefängnisse und Konzentrationslager der Nationalsozialisten bereits am 28. September 1946 in Brüssel gegründet wurde und politischen Druck ausübte, um eine angemessene Entschädigung zu erwirken.

In Teil I des Blogbeitrags wurde auf die belgischen Inhaftierten und die Bedeutung der Überlebendenverbände eingegangen. Doch in welchen Archiven haben wir während unserer Reise nach Belgien recherchiert, um mehr über die Entschädigung der ehemals Inhaftierten oder hingerichteten Belgier_innen zu erfahren? Lest hierzu mehr in Teil II unseres Blogbeitrages.

David Paul und Dr. des. Friederike Apelt


[1] Recht. Verbrechen. Folgen. Das Strafgefängnis Wolfenbüttel im Nationalsozialismus. Wallstein Verlag: Göttingen 2019. S. 212.


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